Anthroposophische Gesellschaft, Aachener Zweig
Alkuin

Berater, Lehrer und Freund Karls des Großen und dessen Familie

Alkuins Leben
Alkuin wurde um das Jahr 735 in York, England, aus edlem Geschlecht geboren; er besuchte die Schule in York, wo er in Grammatik, Rhetorik, Poetik, Jurisprudenz, Astronomie, Naturkunde und im Alten und Neuen Testament durch seinen Lehrer Aelbert unterrichtet wurde.
Alkuin blieb nach Abschluss seines Unterrichts an der Schule. Auf einer Fahrt nach Rom begleitete er Aelbert; sie erwarben dort einige Bücher für die Yorker Schule. Als Aelbert zum Erzbischof gewählt wurde, fiel Alkuin das Amt des Leiters der Yorker Schule zu.
Nach dem Tode Aelberts wurde Eanbald Nachfolger als Erzbischof und Alkuin musste das erzbischöfliche Pallium aus Rom holen. Das Pallium ist eine weißwollene, mit 6 schwarzen Kreuzchen gezierte, etwa 3 Finger breite Schmuckbinde, die ringförmig auf den Schultern aufliegt. (Der Große Brockhaus, 1955) Auf der Rückreise von Rom traf er Karl den Großen in Parma.
Karl vertraute Alkuin seine Pläne zur Hebung der geistlichen und sittlichen Verfassung der Menschen im Frankenreich an und äußerte den Wunsch, Alkuin möge die Leitung der Hofschule übernehmen. Alkuin sagte zu, dieses Amt zu übernehmen, falls sein Bischof und sein König die Erlaubnis dazu geben. Als er diese Erlaubnis erhielt, kam Alkuin sofort mit mehreren seiner angelsächsischen Schüler nach Aachen; das war um das Jahr 781/82.
Neben der Oberleitung der Hofschule übertrug Karl weitere wichtige Aufgaben an Alkuin. So sollte er den Bildungsstand des fränkischen Volkes heben und Schulen an Klöstern und Domstiften einrichten. Besonderen Wert legte Karl auf das Bücherwesen; Bücher wurden damals von Hand geschrieben. Durch unerfahrene Schreiber waren Bücher, vor allem das Alte und Neue Testament in völligen Verderb geraten. Alkuin überarbeitete die Perikopenbücher und sämtliche Bücher der Bibel. Er verbesserte die Texte und fügte Lesezeichen ein für Vorleser, die der lateinischen Sprache nicht kundig waren.
Nach acht Jahren bat Alkuin Karl, ihn wieder in seine Heimat zu entlassen. Karl jedoch bat Alkuin, weiter im Frankenreich und bei seiner Familie zu bleiben; er schickte Alkuin aber mit einer besonderen Aufgabe als Botschafter und Vermittler nach York. Zwischen König Karl und König Offa in York, mit dem er in der Vergangenheit befreundet war, hatte sich das Verhältnis seit kurzem getrübt. Alkuin kannte König Offa gut und er wünschte eine Versöhnung seiner beiden königlichen Freunde. Ein Jahr blieb Alkuin in England und ihm gelang die Beilegung des Zwistes zwischen Offa und Karl. Im Jahr 793 kehrte Alkuin ins Frankenreich in seine Ämter zurück.
Als Alkuin über 60 Jahre alt war, wünschte er sich in die Abgeschiedenheit eines Klosters ohne leitende Aufgaben. Der Abt Itherius im Kloster St. Martin in Tours verstarb; Karl ernannte Alkuin daraufhin zu dessen Nachfolger. Hier warteten auf Alkuin zwei Hauptaufgaben: die verfallene Disziplin des Klosters wieder herzustellen und die Übernahme der zugehörigen Klosterschule. Alkuin konnte sich dem Wunsche Karls nicht entziehen, obwohl er sich wünschte, als ein einfacher Mönch zu leben.
Die Gebrechlichkeit Alkuins nahm zu, so dass er Karls Bitte, ihn im Jahr 800 auf seiner Reise nach Rom zu begleiten, ablehnte. Die Leitung der Klöster in St. Martin und Ferrieres gab er an zwei seiner Schüler ab. Auch von weiteren Ämtern zog sich Alkuin zurück; selbst dem Wunsch Karls, der ihn in seiner Nähe haben wollte, konnte er wegen der Erschöpfung seiner Kraft nicht nachkommen.
Er fuhr jedoch fort, geistliche und theologische Fragen zu studieren und auch die Leitung der Schule in Tours behielt er bis zu seinem Tode.
Am Pfingstsonntag, 19. Mai 804, überschritt er die Schwelle zur geistigen Welt. Der Erzbischof von Tours sah eine feurige Kugel aufsteigen und die Kirche des Klosters in hellem Glanz erstrahlen. Scharen von Menschen drängten sich, um Alkuins Leichnam zu sehen.

Alkuin empfiehlt seinen Schüler Hrabanus Maurus und dessen Erstlingswerk "De laudibus sancta crucis" Erzbischof Otgar von Mainz. Fulda, um 831/840. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Ms. 652, fol. IV
"Alkuin von York und die geistige Grundlegung Europas" Hrsg. Ernst Tremp und Karl Schmucki, Verlag am Klosterhof St. Gallen 2013
Alkuins Wirken
Die Hofschule
Als oberster Leiter der Hofschule Karls des Großen sorgte er für die gute Ausbildung der Lehrer. In den Klöstern bildete er die Mönche aus, die als Lehrer in den Klosterschulen die Schüler unterrichten sollten. Damit die Bücher richtig abgeschrieben wurden, sorgte Alkuin für eine umfassende Bildung der Schreiber in den sieben Künsten und in den christlichen Büchern.
Die Schulen waren vorgesehen für die Kinder des Adels, auch Karls Kinder, aber auch Karl selbst, seine Schwester Gisela und seine letzte Gattin Luitgardis unterrichtete Alkuin Die sieben freien Künste bestehen aus Trivium (Dreiklang) Rhetorik, Dialektik und Grammatik und dem Quadrivium (Vierklang) Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie. Diese bilden die Voraussetzung zum tieferen Verständnis der höheren Weisheit in der Heiligen Schrift.

Alkuins Werke
Alkuin hat über jede der sieben Künste geschrieben; erhalten geblieben sind uns seine Arbeiten über das Trivium und aus dem Gebiete der Astronomie die Berechnung des Mondlaufes – ein Thema, das auch Karl sehr interessierte. Zur Bestimmung des richtigen Zeitpunktes für das Osterfest war die Kenntnis des Mondlaufes wichtig.
Höher als diese Erkenntnisse, die für die höheren Erkenntnisse nur eine Vorstufe bilden, standen für Alkuin die Erkenntnisse Gottes und der eigenen Seele. In seiner Schrift „de ratione animae“ (Die Lehre von der Seele) sagt er zu seiner geistigen Freundin Eulalia:
„… Gott muss man kennen, um ihn zu lieben; wer ihn wenig erkennt, wird ihn wenig lieben, obschon der Seele die Liebe zu Gott natürlich ist, weil er das höchste Gut ist, ohne welches es für den Menschen kein anderes gibt. Träger dieser Liebe ist die menschliche Seele, und es ist ihr höchster Vorzug, dasjenige Gut zu lieben, in welchem, von welchem und durch welches jegliches Gute in den Kreaturen ist. Diese Liebe macht die Seele edel; sie entspricht damit demjenigen, als was und wozu sie Gott geschaffen hat. Denn Gott hat sie als sein Bild und Gleichnis geschaffen und will ihr einwohnen nach dem Maße, als überhaupt eine Kreatur den Schöpfer fassen kann.Er hat ihr die Bestimmung gegeben, das was über ihr und vortrefflicher als sie ist, nämlich Gott, innigst zu lieben und zu begehren, dasjenige aber, was unter ihr ist, d. i. den ihr eigenen Leib vollkommenst zu beherrschen. Denn sie ist der edlere Teil des Menschen, und muss darum Herrin über den leiblichen Menschen sein, muss die Akte desselben überwachen, leiten und bestimmen, und hierein allseitig nach dem Gebote der vernünftigen Einsicht sich bestimmen, damit in den Funktionen des fleischlichen Sinnesmenschen nichts Unschickliches und der Würde der Seele Widerstrebendes zugelassen werde. Man hat nach der Lehre der Philosophen eine dreifache Natur der Seele oder drei Teile der Seele zu unterscheiden, den rationalen, zornmütigen und begehrlichen Teil.. Die beiden letzteren hat die menschliche Seele mit den Tieren gemeinsam, Vernunft hat der Mensch allein, und diese soll in ihm die begehrlichen und zornmütigen Regungen frei beherrschen, Die Beherrschung dieser Regungen ist eine der vier Haupttugenden der Seele, die da sind: Klugheit, Gerechtigkeit, Maßhaltung, Tapferkeit. Durch die Klugheit erkennt der Mensch, was er tun und nicht tun soll; durch die Gerechtigkeit zollt er Gott und dem Mitmenschen, was demselben gebührt; die Maßhaltigkeit hält Zorn und Begierden im Zaume; die Tapferkeit erweist sich als Stärke gegen die Widrigkeiten des Lebens. Diese vier Tugenden müssen in der Caritas (Hochachtung, Liebe) geeint sein und durch sie gekrönt werden; dadurch wird die Seele Gott nahe gerückt und die vier Tugenden derselben unmittelbar auf Gott gerichtet. Und nur in Folge dieser Richtung der ganzen Seele auf Gott vermag die Vernunft Zorn und Begierde im Zaum zu halten und sich selbst von Verkehrtheit frei zu halten. Die von der Herrschaft der Vernunft emanzipierte Begehrungskraft entartet in Gefräßigkeit, Unzucht, Habsucht; der korrumpierte Zornmut entartet in Verdrossenheit und Trägheit; das Verderbnis der rationalen Seelennatur bekundet sich in Hoffart und Eitelkeit. Aus diesen Hauptstämmen sittlicher Verderbtheit erwachsen alle besonderen Untugenden und Laster, in deren Spezifikation AlcuinAlkuin nicht eingehen will.“ (Übersetzung aus dem Lateinischen durch Dr. Karl Werner „Alkuin“ Seite 31 f.)
Die Aufgabe, eine gereinigte Fassung sämtlicher Bücher des Alten und Neuen Testamentes wieder herzustellen, beschäftigte Alkuin anhaltend. Auf der Grundlage älterer Texte der Bibel löste er diese Aufgabe; er stellte ein Exemplar für weitere Abschriften zur Verfügung. Im Laufe der späteren Jahrhunderte entstanden durch Nachlässigkeiten erneut fehlerhafte Abschriften. So wurde im 13. Jahrhundert erneut eine Überarbeitung durchgeführt.
Auf Anfrage und zu besonderen Anlässen gab Alkuin sorgfältig geschriebene Texte heraus. Zur Kaiserkrönung Karls schickte er einen kunstvoll geschriebenen Text neutestamentarischer Schriften nach Aachen. Dieses wertvolle Werk ist heute in Trier. Auch hochgestellte Persönlichkeiten erhielten von Alkuin Evangelientexte; poetische Epigramme Alkuins am Ende der Schriften bezeugten, wie ein Siegel, dass die Abschriften unter der Aufsicht Alkuins angefertigt wurden. Für den Gaugrafen Wido z. B. schrieb er „liber de virtutibus et vitiis“ (Buch über Tugenden und Laster). Darin wird einem mit weltlichen Angelegenheiten beschäftigtem Manne ein Überblick über die Pflichten des christlichen Lebens gegeben.

Stellungnahmen zu theologischen Streitfragen
Neben den genannten umfangreichen Werken schrieb Alkuin Stellungnahmen zu theologischen Streitfragen. Hierdurch zeigte sich die Vormachtstellung in theologischen Fragen, die Karls Frankenreich gegenüber Rom besaß.

Felix von Urgel behauptete, Jesus sei nach der Taufe vom Vatergott adoptiert worden („Adoptionismus Christi“). Alkuin antwortet darauf und widerlegt diese Meinung in sieben Büchern und diskutiert mit Felix im Jahre 800 anlässlich einer Synode in Aachen sechs Tage öffentlich. Felix darf nicht in sein Bistum in Nordspanien zurück; er musste zu Laidrad (Lyon) und führte ein frommes, erbauliches Leben. In seinem Nachlass fand sich eine Schrift, die einen abermaligen Rückfall in seine öffentlich zurück genommenen Irrtümer bekundete.

Im sogenannten „filioque“ Streit ging es darum, ob der Heilige Geist nur vom Vater oder auch vom Sohn ausging. Im westgotischen Spanien kam der Zusatz „filioque“ (und von dem Sohne) auf. Auf Wunsch Karls erörterte Alkuin dieses Thema vom Ausgang des Heiligen Geistes. Anhand mehrerer Textstellen im Neuen Testament (Lucas Evangelium, Johannes Evangelium) und der Schriften von Kirchenvätern (z. B. Hieronymus und Augustinus) als Gewährsleute stellte Alkuin fest: Nach Schrift und Tradition gehe der Heilige Geist vom Vater und vom Sohne aus; er werde Geist des Vaters und des Sohnes genannt. In seiner Schrift verschweigt Alkuin jedoch nicht, dass z. B. Fulgentius die Stelle in Lucas 6, 19 (Alles Volk trachtete, ihn anzurühren; denn es ging eine Kraft von ihm aus, und er heilte alle. - Übersetzung von Heinrich Ogilvie) auf eine von Christus ausgehende Heilkraft (nicht auf den Heiligen Geist) bezogen habe.

Ein weiteres Thema Alkuins ist die Zahlenmystik, die er in der Bibel nachweist. Im Johannes Evangelium 21, 11 wird gesagt: 153 Fische werden gefangen. Die Zahl 153 ist eine figürliche Zahl der Erwählten, die sich aus 3 x 51 ergibt. Mit der 3 wird angedeutet, dass jene selige Vollendung in der Kraft des dreieinigen Gottes erlangt werde; 51 ergibt sich aus 50 + 1, wobei 50 das große Hall- und Erlassjahr andeutet und die 1 für die selige Ruhe steht. Andererseits setzt sich 51 auch aus 3 x 17 zusammen; die 17 ist die Zahl des Inbegriffes unseres gesamten Könnens (virtus) und Wirkens (operation) in Gott. Die 10 Gebote und die 7 sakramentalen Gnaden des Neuen Testamentes ergeben aus 10 + 7 die 17. Indem aber dieses Können und Wirken, durch welches wir zum ewigen Leben gelangen sollen, auf dem dreieinigen Gotte gegründet ist, muss die Zahl 17 mit der Dreizahl sich vermählen, was 51 ergibt.

Die (lateinische) Poesie erlebte im Karolingischen Reiche eine reiche Blüte dadurch, dass Alkuin die in England erlernte Verskunst auf fränkischen Boden verpflanzte. Die von Alkuin verwendeten Versmaße waren vor allem der Hexameter, aber auch elegisches, sapphisches, adonisches nutzte er in seiner Poesie.

Nachwirkungen Alkuins Leben
Die Schüler und Freunde Alkuins lebten im Frankenreich verteilt, und ihre große Zahl sorgte dafür, dass seine Anregungen und Werke mehrere Jahrhunderte ihre Wirkungen hatten. Nach seinem Tode waren seine Auslegungen der Bibel, sein theologisches Lehrsystem, seine Geschichtsliteratur und seine christlich-lateinische Poesie vorbildlich. Alkuin kam aus einem Land, das damals eine höhere Kultur besaß als das Frankenreich Karls des Großen. Er hat durch sein Wirken die Bildung im Frankenreich auf die Höhe seines Heimatlandes gebracht. Die Aufgabe, die Alkuin übernahm, als er der Bitte Karls entsprach und von York ins Frankenreich kam, erhält eine große Bedeutung vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Wikinger zum Ende des achten Jahrhunderts – also noch zu Lebzeiten Alkuins – England eroberten und durch Brandschatzungen und Zerstörungen die dort angetroffene Kultur (Bücher und Schulen) zerstörten. Alkuin hat dafür gesorgt, dass die Kultur, die durch die räuberische Eroberung in York zerstört wurde, auf den Kontinent verpflanzt wurde und dort weiterleben und sich entwickeln konnte.
Noch als Abt in Tours bittet er Karl darum, einige Schüler nach York zu schicken, um von dort die notwendigen Bücher zu holen. In seinem Brief an Karl schreibt er: „... Aber es fehlen mir, Euerem geringen Diener, zum Teil die wichtigen Bücher für den gelehrten Unterricht, welche ich dank meines guten und ergebenen Lehrmeisters in meiner Heimat und auch kraft eigenen Schweisses besessen habe. Daher bitte ich Euch, falls es Eurem weisen und verehrten Ratschluss genehm ist, mir zu gewähren, dass ich einige Schüler hinüber sende, das Notwendigste dort zu beschaffen und Englands Blumen ins Frankenreich zu überführen: auf dass nicht nur in York ein „verschlossener Garten“ sei, sondern auch in Tours ein „Lustgarten mit edelen Früchten“ erstehe und an der Loire „der Südwind die Gärten durchwehe und ihre süssen Düfte verbreite“ und es neuerlich geschehe, wie es weiter im Hohen Lied Salomonis heisst, daraus ich diese Worte wähle:“Komm in meinen Garten, mein Geliebter, und iss von seinen Früchten!“... (diesen Ausschnitt aus Alkuins Brief entnahm ich dem Buch von Jürgen von Stachelberg „Humanistische Geisteswelt – von Karl dem Grossen bis Philip Sydney“) Die obigen Ausführungen habe ich aus „Alkuin und sein Jahrhundert“ von Dr. Karl Werner, Druck und Verlag von Ferdinand Schöningh, 1876 zusammengestellt.

Artikel: Prof. Dr. Rolf Schäfer